Khajjam Kulturverein e.V.
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Das Persische Drama von Wilhelm Litten 1928

Wer vom persischen Drama spricht, setzt sich in Gegensatz zu Goethe, der in den Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Diwan folgenden Nachtrag gibt:

„Höchst merkwürdig ist, daß die Persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein dramatischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müßte ein anderes Ansehn gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie läßt sich gern etwas vorerzählen, daher die Unzahl Märchen und die gränzenlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden und wir finden daß eine jede Einwendung gegen Willen und Befehl des Herrschers allenfalls nur in Citaten des Korans und bekannter Dichterstellen hervortritt, welches aber zugleich einen geistreichen Zustand, Breite, Tiefe und Consequenz der Bildung voraussetzt. Daß jedoch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag, sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelgespräche des Ferideddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beyspiel.“

Und doch gibt es ein persisches Drama, das gerade zu der Zeit, als Goethe seinen Nachtrag schrieb, etwa seinen Höhepunkt erreicht hatte. Es gibt ein persisches Drama, so wahr es ein griechisches Drama gibt, und zwar hat das persische Drama mit dem griechischen folgendes gemeinsam: Es ist auf nationalem Boden in allmählicher Entwicklung erwachsen, es schließt sich eng an Religion und Mythos an, es hat sich aus Kulthandlungen entwickelt, es behandelt hauptsächlich religiöse Stoffe und religiöse Legenden. Es verwendet Solisten und Chor, die Zuschauer sitzen im Kreise um die Bühne herum, die aus einem Podium für die Solisten und einem Umgang für den Chor besteht. In kleineren Verhältnissen werden die Höfe der Häuser für diese Aufführungen hergerichtet, und die Zuschauer sitzen an den Mauern des Hofes oder auf den Terrassen oder an den Fenstern, die um den Hof herum liegen. In größeren Städten befinden sich zirkusartige Gebäude in der Anordnung von Amphitheatern.
Der Hauptgegenstand des persischen Dramas ist die Tragödie des Imam Hußein , der im Jahre 680 nach Christi Geburt in Mekka, wohin er sich im selben Jahre von Medina begeben hatte, die Aufforderung der ihm treuen Bewohner von Kufa in Mesopotamien erhielt, zu ihnen zu kommen, um mit ihrer Hilfe als rechtmäßiger Nachfolger des Propheten die Herrschaft zu übernehmen. Diese Herrschaft ruhte in der Hand des Kalifen, und zwar hatten nach dem Tode des Propheten Mohammed folgende Männer nacheinander die Würde eines Kalifen bekleidet:
1. Abu Bekr,
2. Omar,
3. Osman
4. Ali,
5. Haßan,
6. Moawija
7. Jesid.
Nach der schiitischen Lehre hat Mohammed aber seinen Schwiegersohn Ali als unmittelbaren Nachfolger und Imam eingesetzt, und nach dem Tode Haßans, des Sohnes Alis, gilt bei den Schiiten Hußein als rechtmäßiger Nachfolger und dritter Imam.

Als Hußein in Begleitung seiner Familie und mit nur kleinem Gefolge in Mesopotamien anlangte, hatten seine Anhänger in Rufa sich eines anderen besonnen; er wurde aufgefordert, auf alle Ansprüche zu verzichten und sich dem Kalifen Jesid in Damaskus bedingungslos zu unterwerfen. Um seinen Willen zu brechen, wurde er durch eine Truppe vom Euphrat abgeschnitten, so daß er und seine Familie in der Ebene von Kerbela Durst leiden mußte. Als er bei seiner Weigerung blieb, wurde er von den Truppen des Kalifen Jesid, die Obeidullah Ibn sijad aus Rufa kommandierte, am 7. Moharrem des Jahres 60 der Hidshra (= 7. Oktober 680 nach Christi Geburt) angegriffen. Der Kampf endigte damit, daß am 10. Moharrem des Jahres 60 der Hidschra (= 10. Oktober 680 nach Christi Geburt) der Imam Hußein und fast alle männlichen Mitglieder seiner Familie im Kampfe fielen und die weiblichen Familienangehörigen gefangengenommen wurden. Von seinen männlichen Verwandten blieb nur sein kleiner Sohn Sein-el-abidin übrig, der bei den Schiiten als vierter Imam gilt.
(Vgl. hierzu auch Kerbela, von M. Streck, Festschrift Ed. Sachau, Berlin 1915, und das Heiligtum al-Hussains zu Kerbela von A. Nöldeke, Erlangen 1909)
Aus dem Gedenken an diese Tragödie hat sich das persische Drama entwickelt. Dieses Gedenken bestand in der ältesten Zeit darin, daß die Angehörigen und Anhänger der im Kampfe Gefallenen am Todestage trauerten und dieser Trauer nach orientalischer Weise lebhaften Ausdruck verliehen, indem sie sich in Sack und Asche kleideten, sich die Haare rauften und die Brüste schlugen.

Später, namentlich aber nachdem Ismael Sefi im Jahre 1502 nach Christi Geburt in Persien die Dynastie der Sefewiden (1502 bis 1722) und ein nationales persisches Königtum mit der schiitischen Lehre als Staatsreligion begründet hatte, kam noch ein zweites hinzu, nämlich der feierliche Trauergottesdienst in den schiitischen Moscheen am Todestage des Imam Hußein und an den diesem Todestage vorhergehenden Gedenktagen (1. bis 10. Moharrem).

In enger Verbindung hiermit steht ein Drittes: vor und nach diesen Trauergottesdiensten in den Moscheen finden Prozessionen statt. Diese Prozessionen zeigen bereits dramatischen Einschlag: Zum Teil freilich tun die Teilnehmer an diesen Prozessionen nichts anderes, als daß sie ihrer Trauer starken Ausdruck verleihen, indem sie sich mit Rot beschmieren und unter Wehklagen die Brüste mit den flachen Händen oder mit Ketten schlagen. Ein anderer Teil der Teilnehmer aber stellt die Tragödie bereits dramatisch dar. Sie sind mit Schwertern bewaffnet, und mit Hilfe von Musikinstrumenten und Schlagzeug jeder Art geben sie das Kampfgetümmel der Schlacht von Kerbela wieder. Die Leichen des Imam Hußein und seiner Familienangehörigen werden in dieser Prozession dargestellt, ebenso wie eine Reihe von Einzelheiten, die mit der Tragödie von Kerbela zusammenhängen.

Ein vierter Abschnitt der Entwicklung besteht darin, daß sich für die Tätigkeit der Teilnehmer an diesen Prozessionen ein ganz bestimmtes Gebrauchtum herausgebildet hat. Dies gilt namentlich für die Prozession nach dem Trauergottesdienst. In einzelnen Gruppen begeben sich die Mitglieder der Stadtviertel in einer großen Prozession, die Tragödie von Kerbela teils beklagend, teils sie dramatisch darstellend, am 10. Moharrem zum Trauergottesdienst in die Moscheen. Nach Beendigung des Gottesdienstes aber versammelt sich ein Teil der Teilnehmer auf einem freien Platze in der Nähe der Moschee. Sie sind alle barhäuptig, während der Perser sonst seine Kopfbedeckung nie ablegt, und mit langen weißen Hemden bekleidet. Die linke Hand greift in den Gürtel oder auf die Schulter des linken Nebenmannes. In der rechten Hand trägt jeder ein Schwert, und indem nun nach einem bestimmten Rhythmus der Imam Hußein angerufen wird, schlagen sie sich in demselben Rhythmus mit den Schwertern auf den eigenen Schädel. Nach kurzer Zeit sind die weißen Hemden blutüberströmt, die Teilnehmer geraten in eine Art Ekstase, und Aufseher mit Stöcken, die hinter ihnen stehen, fangen zu starke Schläge auf und verhindern, daß die Teilnehmer sich in diesem Zustande tödliche Verletzungen beibringen. An dieser besonderen dramatischen Darstellung der Schlacht von Kerbela; die nach dem Trauergottesdienst stattfindet, nimmt nur ein Teil der Gläubigen und der Besucher des Trauergottesdienstes teil. Meistens sind es diejenigen, die im Laufe des Jahres in irgendeiner Not das Gelübde abgelegt haben, am nächsten 10. Moharrem in dieser Weise mitzuwirken. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung gilt für besonders gottgefällig. Sie hat in der schiitischen Auffassung nahezu sakramentalen Charakter.

Dazu kam dann noch als fünftes die Tätigkeit des Rause-chan. Es ist dies ein Prediger, der in besonders rührsamen Worten die Leiden und Heldentaten des Imam Hußein zu schildern weiß. Er übt seine Tätigkeit auch außerhalb der Moscheen aus, sei es, daß er – je nach seiner Bedeutung – die versammelte Menge an Straßenecken durch seine Schilderungen zu Tränen rührt, sei es, daß er in einem Kaffeehause auf erhöhtem Sessel die Versammelten zu lautem Schluchzen und Wehklagen und Brüsteschlagen veranlaßt, sei es, daß er im Hause eines Großwürdenträgers in einer Privatgesellschaft den Vorstellungen beredten Ausdruck verleiht, die in dieser Passionszeit alle schiitischen Gemüter beschäftigen. Dies entspricht wohl dem Bedürfnis der Gläubigen aller Religionen, in der Zeit ihrer Hauptfeste auch außerhalb des Gottesdienstes im häuslichen Kreise sich mit dem Gegenstand des Festes zu beschäftigen, etwa wie man zur Weihnachts- oder Osterzeit in christlichen Familien entsprechende Stellen der Bibel vorlesen oder durch Kinder aufsagen läßt.

Von diesen Oratorien als privaten Veranstaltungen ist es nur ein Schritt zu der sechsten Stufe der Entwicklung: Diese besteht darin, daß wohlhabendere Familien sich an dem Vortrag der Leidensgeschichte durch einen Einzelnen nicht genügen, sondern sie in dramatischer Form in ihrem Hause aufführen lassen. Zunächst waren es wohl die Zuschauer selbst, die durch Wehklagen und Gesten dem Vortrag des Einzelnen größeren Nachdruck verliehen. Dann wurden durch Statisten die Hauptpersonen der Tragödie dargestellt, die sich in Rüstungen mit Schwertern und Fahnen um den Vortragenden gruppierten und dadurch auch für das Augen ein Bild boten, das im Zusammenhang stand mit der Schilderung, die das Ohr vernahm. Dann aber entwickelte sich daraus eine regelrechte Aufführung, bei der die Mitwirkenden mit verteilten Rollen die ganze Tragödie aufführten. Zunächst waren es Liebhaber, die nach Art der Oberammergauer Passionsspiele diese Stücke aufführten. Später gibt es Schauspieler, die diese Tätigkeit berufsmäßig ausüben. Fast jede vornehme Familie pflegt im Trauermonat Moharrem derartige Schauspieler anzuwerben und befreundete Familien einzuladen. Meistens wird der Hof eines größeren Gebäudes als Bühne hergerichtet, während die Zuschauer ringsherum, teils im Hofe selbst, teils auf den Veranden oder an den Fenstern sitzen. Manchmal werden auch besondere Zelte in einem großen Garten oder auf einem freien Platze zu diesem Zwecke aufgeschlagen. Der Schah als der Vornehmste des Landes besitzt ein besonderes Gebäude zu diesem Zwecke. Es ist dies die Tekie-i Dauleti in Teheran, ein großer zirkusartiger Rundbau, der im Inneren nach Art eines Amphitheaters eingerichtet ist.

Die siebente Stufe der Entwicklung scheint mir darin zu bestehen, daß der Wortlaut der Rollen der einzelnen Schauspieler, die in der ersten Zeit wahrscheinlich den Vortrag eines Einzelnen nur durch mimische Handlungen begleiteten oder, als sie mit verteilten Rollen zu spielen begannen, wahrscheinlich zunächst improvisierten – daß der Wortlaut dieser Rollen nun schriftlich festgelegt wurde.
Diese siebente Stufe der Entwicklung bedeutet, daß damit ein geschriebenes persisches Drama geschaffen worden ist, daß es eine persische dramatische Literatur gibt.

Die wichtigste Tragödie dieses Dramas, die den Tod des Imams Hußein darstellt, wird immer nur an seinem Todestage, dem 10. Moharrem, aufgeführt. Vom 1. bis 9. Moharrem finden ebenfalls dramatische Aufführungen statt. Sie haben als Gegenstand Ereignisse, die dem Tode Hußeins vorhergingen, wie z. B. seinen Marsch von Medina nach Kerbela, seine Verhandlungen mit den Leuten von Rufa und Szenen im Zeltlager seiner Angehörigen bei Kerbela. Andere Dramen beschäftigen sich mit Ereignissen, die nach dem Tode Hußeins stattfanden. Hierzu gehört das Schicksal seiner Angehörigen, die Beerdigung der einzelnen Teile seiner zerstückelten Leiche, die Legende von dem Vogel, der nach der einen Version sich in seinem Blute badet, um Gott die Nachricht zu überbringen, nach der anderen Version nach Medina fliegt und den Bewohnern die Trauerkunde überbringt. Andere Stücke wiederum stehen mit dem Tode des Imam Hußein nur in lockerem Zusammenhange, so z. B. das Stück, in dem das Opfer des Ismael durch Abraham dargestellt wird, und diejenigen Stücke, die die verschiedensten Ereignisse der religiösen Geschichte der Schiiten darstellen.

Gegenwärtig kann der Reisende, der im Monat Moharrem Persien besucht, noch heute diese einzelnen sieben Stufen der Entwicklung nebeneinander beobachten, und die Reisebeschreibungen von europäischen Schriftstellern, die Persien besucht haben, von Olearius (1637) bis zu Aubin (1907), enthalten Mitteilungen hierüber. Olearius erwähnt Prozessionen und Kulthandlungen, aber noch keine eigentlichen dramatischen Vorstellungen. Ebenso schweigt z. B. Tavernier (1667) über solche Passionsspiele. Er erwähnt lediglich, daß die Gläubigen ihre ausdrucksvollen Kulthandlungen mit gewissem Gepränge in Privathäusern fortsetzen.

Der erste, der über das eigentliche persische Drama und über Schauspieler Nachricht gibt, ist J. Morier in seinem Werke „Second voyage en Perse“, Paris 1818. Er erwähnt auch, daß die Schauspieler Papiere in den Händen hielten, auf denen ihre Rollen niedergeschrieben waren, und daß die größte Aufführung auf dem Hauptplatze der Stadt vor dem König stattfand. Er erwähnt auch Kulissen, die die Stadt von Kerbela darstellen sollten, und ein Podium für die Solisten. Später haben zahlreiche Reisende, so namentlich Graf Gobineau (Les religions et les philosophies dans l’Asie centrale, Paris 1865), A. Chodzko (Théatre persan, Paris 1878) und Sir Lewis Pelly (The miracle play of Hasan and Husein, London 1879) über das persische Drama berichtet. In letzter Zeit hat Ivar Laffy (Helsingfors 1916) in seinem in englischer Sprache geschriebenen Buche, „The Muharrem Mysteries“, das sich hauptsächlich mit den Trauerfeiern der Schiiten im Kaukasus befaßt, reiches Material über diese Fragen zusammengetragen. Das Buch enthält auch umfangreiche Literaturangaben über diesen Gegenstand.
(Nur zwei kleine Irrtümer sind mir in Lassys sonst hervorragendem Werke aufgefallen: S. 264 führt er ein Stück „The Message of Allah“ an, das Chodzko erworben habe. Das Stück heißt bei Chodzko aber „Le Messager de Dieu“ (also „der Bote“, nicht „die Botschaft“). – Lassy erwähnt richtig, daß es in den Prozessionen Leute gebe, die sich die Brust schlagen und sinezen heißen, und solche, die sich den Kopf zerschlagen und gamazen heißen, irrt sich aber, wenn er dies Wort erklärt als „(those) beating the grief“. Er verwechselt hier gäm (Sorge) und qämä (Schwert). Ein qämä-zän ist der, der sich mit dem Schwerte schlägt.)

Eine zu erwartende achte Stufe, die in einer Arbeitsteilung zwischen Theaterdirektor und Dichter bestehen könnte, hat das persische Drama nicht erreicht. Die einzelnen Stücke sind meistens anonym, wahrscheinlich ist der jeweilige Theaterdirektor oder Regisseur gleichzeitig der Verfasser, und obgleich sie fast durchweg in gebundener Rede mit Versmaß und Reim abgefaßt sind, sind sie nicht im persischen Buchhandel erschienen, sonder nur handschriftlich in den Händen der Schauspieler vorhanden. Gobineau gibt als erster (1865) in seinem oben bezeichneten Werke die Übersetzung eines solchen Stückes, das die Überschrift „Die Hochzeit des Qaßim“ trägt. Was aus der Handschrift geworden ist, nach der Graf Gobineau diese Übersetzung angefertigt hat, ist mir nicht bekannt. Chodzko in seinem oben bezeichneten Werke gibt an, im Besitze der Handschriften von 33 solchen Stücken zu sein. Er gibt ferner an, daß die Bibliothèque Nationale in Paris die Handschriften erworben habe, die in der Sammlung persischer Handschriften dieser Bibliothek die Nr. 993 trügen. In seinem Werke gibt er die französische Übersetzung von fünf solchen Stücken wieder. Es sind dies das erste, zweite, dritte, fünfte und dreißigste Stück seiner Sammlung.

Er gibt an, daß er diese Handschriften von dem Eunuchen Hußein Ali Chan; dem Hoftheaterdirektor in Teheran, erworben habe. Die jetzt in der Bibliothèque Nationale befindliche Sammlung umfaßt nach seinen Angaben folgende Stücke. Ich gebe diese Liste, die ich im folgenden kurz das Repertoire Chodzko nenne, in der Fassung von Chodzko selbst wieder. Laffy hat in seiner Wiedergabe die Nummern verändert, was für die Zitierung nicht praktisch sein dürfte. (Chodzko bezeichnet diese Dramen als Mysterien, eine Bezeichnung, gegen die sich Laffy wendet, weil diese Dramen keinen unmittelbaren Zusammenhang mit gottesdienstlichen Handlungen mehr haben.)

Mir ist nicht bekannt, daß außer der Übersetzung eines einzelnen Stückes durch Gobineau und der Sammlung von Chodzko und Pelly der Wortlaut derartiger persischer Dramen in Europa bekannt geworden wäre. Ich selbst habe vor über 20 Jahren in Teheran die Aufführung eines solchen Dramas gesehen, das „Emir Timur“ hieß und im Theater des Schahs aufgeführt wurde. Ich habe mir damals von dem Leiter der Aufführungen das Manuskript geben und abschreiben lassen. Die Handschrift selbst wollte er nicht weggeben, dagegen ist es mir gelungen, die Handschrift von 14 weiteren Stücken in Urschrift zu erwerben, von denen das eine das Datum von 1250 (= 1834) und ein anderes das Datum von 1247 (= 1831/2) trägt. Meine Sammlung, die ich im folgenden kurz als das Repertoire Litten bezeichne, umfaßt folgende Stücke:
1. Das Stück, wie Abraham den Isma’il Gott opfert.
2. Das Stück von dem Vogel, der nach Medina fliegt und den Bewohnern von Medina die Nachricht vom Tode des Imams bringt, und die Heilung des jüdischen Mädchens.
3. Das Stück vom Tode des Herrn der Märtyrer (Gottes Segen auf ihn) in der Ebene des heiligen Kerbela. (Ch.24, P.23.)
4. Das Stück vom Tode des h. `Abbas-`Ali (unsre Seele sei dein Opfer). (P.19.)
5. Das Stück von Chuli (ein Offizier des Obeidullah Ibn sijad, dem bei der Verteilung der Beute das Haupt des Imam Hußein zufiel), der das Haupt des Imam in einen Ofen steckt, und die Erscheinung des Propheten und der Fatima (Segen usw.).
6. Elftes Stück über die Umstände des Todes von Wahb, seinen Abschied von seiner Familie und seinen Tod.
7. Das Stück von der Christenfrau, die nach der Ebene des heiligen Kerbela kommt, dort mehrere Wunder erlebt und durch Fatimah (gegrüßt sei sie) zum Islam bekehrt wird.
8. Das Stück, wie der h. Herr der Märtyrer in der Ebene von Kerbela in der Zehner-Nacht den Schämär, Sohn des Panzerträgers, um eine Frist des schamlosen Leute von Kufa bittet. (ch.16.)
9. Das Stück von der Hochzeit der Sahra (Fatima) in Medina.
10. Das Stück, wie der Prophet gegen seiner Eltern Willen in die Einsamkeit geht und die Tür seines Ärgers schließt (P.3.)
11. Das Stück vom nachtblinden Suleiman, der Überrumpelung des Heeres des Ibn Zijad (Obeidullah) (Fluch und Pein auf ihn!) und der Bekehrung seiner Häuptlinge.
12. Das Stück von dem Europäer-König Qania.
13. Das Stück von der Perlmutter-Perle (mit Datum Sch’ban 125 = 1250 d. h. = Dezember 1834).
14. Das Stück vom Imam Dsha’far Sadiq (Segenswünsche usw., 6. Imam, mit Datum 1247 d. h = 1831/32 A.D.).
15. Emir Timur (Abschrift). (Ein Stück, das ich selbst habe aufführen sehen.)

Nr. 3 des Repertoires Litten ist das einzige Stück, das sowohl im Repertoire Chodzko als auch im Repertoire Pelly enthalten ist. Es ist die Haupttragödie vom Tode des Imam Hußein. Ob sich der Wortlaut mit dem von Chodzko und Pelly gegebenen deckt, ist noch festzustellen.
Nr. 4 des Repertoires Litten entspricht Nr. 19 des Repertoires Pelly.
Nr. 10 des Repertoires Litten entspricht Nr. 3 des Repertoires Pelly.
Nr. 8 des Repertoires Litten entspricht Nr. 16 des Repertoires Chodzko. Auch hier ist noch festzustellen, ob sich der Wortlaut dieser Stücke in den einzelnen Repertoires deckt. Nr. 7 und 12 des Repertoires Litten behandeln ähnliche Dinge wie Nr. 35 und 36 des Repertoires Pelly. Die Nrn. 1, 2, 5, 6, 9, 11, 13, 14 und 15 des Repertoires Litten sind weder bei Chodzko noch Pelly erwähnt und meines Wissens bisher in Europa unbekannt.
Die Manuskripte meines Repertoires umfassen 371 Seiten.
Ich habe es bei meinen eigenen Studien als einen Mißstand empfunden, daß sie im Repertoire Chodzko und Pelly enthaltenen Stücke nur zum Teil und nur in Übersetzung einem größeren Kreise zugänglich sind, daß aber ein Vergleich der Übersetzung mit den persischen Texten nur möglich ist durch Einsicht der Handschriften. Ich halte es daher im Interesse der Wissenschaft für zweckmäßiger, den Hauptwert nicht auf eine Übersetzung, sondern auf eine Bekanntgabe der mir gehörenden Handschriften zu legen. Ich gebe daher im folgenden zunächst nur auf 371 Seiten eine photographische Wiedergabe dieser Handschriften nach dem Rodar-Verfahren von C.G.Röder in Leipzig, und ob ich diesem ersten Teile später eine Übersetzung und Erklärung werde folgen lassen, wird davon abhängen, wieviel Lebensjahre mir noch beschert sind und wieviel Zeit mir meine amtliche Tätigkeit zu solchen Studien lassen wird. Da beides ungewiß ist, habe ich mich nicht für berechtigt gehalten, diese Handschriften, die ich vor über 20 Jahren erworben habe und von denen ich infolge des Krieges über 10 Jahre lang getrennt war, noch länger unverwendet aufzubewahren und sie der allgemeinen Kenntnis vorzuenthalten. Vielmehr habe ich geglaubt, der Wissenschaft einen größeren Dienst zu leisten, wenn ich sie auf diese Weise unverzüglich bekannt gebe.
In diesem Entschlusse bestärkt mich folgendes: Ich habe bereits zu Anfang gesagt, daß das persische Drama zu der Zeit, als Goethe seinen Nachtrag zum West-östlichen Diwan schrieb, etwa seinen Höhepunkt erreicht hatte. Ich glaube nicht an eine Weiterentwicklung. Die Bekanntschaft mit Europa hat gerade die Perser der höheren Schichten diesen Äußerungen der eigenen persischen Kultur entfremdet, in denen sie zum Teil geradezu Zeichen von Rückständigkeit sehen und deren sie sich zu schämen beginnen. Die Nachahmung des Europäischen ist in Persien zwar nicht so hemmungslos wie in der Türkei, und der Einfluß der Geistlichkeit ist gerade in der letzten Zeit wieder sichtlich erstarkt, trotzdem geht die Entwicklung in Persien nach derselben Richtung und führt zu einer Annäherung an europäische Weltanschauungen und entfernt sich von der Auffassung des Mittelalters, in dem der Islam in Persien der schiitische Islam, das gesamte Leben des Einzelnen und des Volkes beherrschte.
Es sei noch bemerkt, daß die Unleserlichkeit einiger verwischter Stellen, wie z.B. auf Seite 329, nicht etwa an Mängeln des Wiedergabe-Verfahrens, sondern an einer Beschädigung der Handschrift selbst liegt.
Bagdad, Ende 1928
Wilhelm Litten

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